Marcel ist Physiotherapeut und fragt sich, was wäre eigentlich, wenn er sich für einen ganz anderen Beruf entscheiden würde. Lesen Sie selbst:
„Ohne meinen Physiotherapeuten…
ein interessanter Gedanke, der mich als Physiotherapeut natürlich anders tangiert als einen Patienten. Was bedeutet es für mich wenn ich kein Physiotherapeut mehr wäre – Was an sich aufgrund verschiedenster Faktoren gar nicht so abwegig erscheint und teilweise bereits Realität wurde als ich Heilpraktiker für Physiotherapie wurde.
Aber langsam… Ich bin Marcel Littek, 37 Jahre alt und seit gut 12 Jahren Physiotherapeut in ambulanten Praxen vollzeitbeschäftigt. Zudem glücklicher Familienvater von vier Kindern zwischen acht und einem Jahr. Den Beruf des Physiotherapeuten liebe ich aus tiefer Seele, auch wenn ich zunächst Medizin studieren wollte, dies aber während meiner PT-Ausbildung schnell verwarf. Dabei versuchte ich mich politisch für den Stand der Heilmittelerbringer zu engagieren, bin Mitglied im Bund vereinter Therapeuten, habe einige Artikel veröffentlicht und Treffen zwischen Bundesabgeordneten unseres Wahlkreises mit unserem Berufsstand in die Wege geleitet.
Doch was ist daraus geworden? Zusammengefasst, ein Mangelberuf.
Es mangelt an moderner Ausbildung, die auf akademischen Standard (wie in jedem anderen Land der Welt, außer in Deutschland) gehoben werden sollte.
Es mangelt an Auszubildenden, was verständlich ist aufgrund von Schulgeld, 54% Abrechenbarkeit nach Ausbildung und 46% durch teure Fortbildung nachzuqualifizierende Leistungen und unterdurchschnittlichem Gehalt.
Es mangelt an Perspektiven, man ist abhängig von Ärzten, Kassen und privaten Klienten, ohne die eine Praxis kaum noch kostendeckend über die Kassenleistungen betrieben werden kann.
Es mangelt an Geld, ich lebe alleinverdienend mit meiner Familie und halte mich knapp auf dem Niveau des „Working poor“ (Vollzeit sozialversicherungspflichtig werktätig aber dennoch Anspruch auf soziale Leistungen), es muss niemand hungern, doch im Schnitt verdienen Physios weniger als Pflegekräfte. Natürlich haben gerade die Pflegedienste mehr verdient, doch über Heilmittelerbringer spricht niemand.
Doch Dr. Roy Kühne, er spricht über uns und er fragt nach und erhält dann sinngemäß die Antwort führender Kassenvorstände (hier: Christoph Meinecke stellvertretende Hauptgeschäftsführer AOK), dass die Honorarerhöhung in der Physiotherapie zu privaten Insolvenzen bei Patienten oder aber zu Lasten der Beitragszahler der gesetzlichen Kassen in Form von Beitragserhöhungen führen würde.
Nebenbei mWn Kostenfaktor Heilmittelerbringer: ca 3 % KK-Budget, Werbung: 5-6% des Krankenkassenbudgets.
Generell sprechen sogar viele darüber einige öffentlich, weniger öffentlich, beruflich oder gar ehremamtlich. Letztlich scheint es aber immer wieder so zu sein, als ob es gar nicht gewollt ist, dass unser Beruf sich verbessern soll. (Vgl. oben)
Oft wird ihm auch die Bedeutung abgesprochen, wie vielen sozialen Berufen. Wir produzieren nichts was man exportieren könnte o.ä. und i.d.R. kosten wir nur Geld, würden wir streiken freuen sich die Kassen und Ärzte, deren Budgets wird damit schonen und somit schadet dies nur Patienten und der eigenen Praxis… Aber ist das wirklich so? Produzieren wir Heilmittelerbringer nicht Arbeitskraft, wenn wir Menschen wieder in den Beruf zurückbringen? Produzieren wir nicht Lebensqualität, wenn Menschen wieder selbständiger werden? Offensichtlich Produkte, die niemand braucht oder bald nur noch Selbstzahlern zur Verfügung stehen, denn dahin geht auch bei uns der Trend: Private Leistungen. Einzeltraining, Einzelberatungen (Coaching), Einzelbehandlungen und Fittnessbereiche für Selbstzahler, Gesundheitsfürsorge und Managment.
Die Therapie der Akutkranken tritt in den Hintergrund für Prävention, Vermeidung und Leistungen für jene, die es sich leisten können.
Ein zumindest teilweise doch sehr fragwürdiger Entwicklungsschritt, der insbesondere die Menschen auf dem Land treffen wird. Zeitnahe. Bereits dieses oder spätestens nächstes Jahr ist mit Engpässen bei der Versorgung auf dem Land zu rechnen. Lymphdrainage-Patienten bekommen kaum noch Stundentermine, weil sie ökonomischer Selbstmord für jede Praxis sind, insbesondere als Hausbesuche und enorme Zeitressourcen in Anspruch nehmen, die nicht gegeben sind. Einige Praxen / Kollegen geben inzwischen Zertifikatspositionen auf, die nicht wirtschaftlich sind: Manuelle Lymphdrainage und Krankengymnastik Zentrales Nervensystem z.B. (man sieht eher chronisch Kranke werden hier betroffen sein)
Oft habe ich mir dazu bereits Gedanken gemacht und bin nun ebenfalls den Schritt gegangen eher in Richtung Heilpraktiker zu denken, weil hier noch Preise und Leistungen recht gut gestaltet werden können. Es ist schon so als würde man chronische Patienten im Stich lassen, doch meine vier Kinder und Ehefrau liegen mir dann doch noch etwas mehr am Herzen als die Patienten und somit muss das Brot auf den Tisch. Alternativ stünde noch eine generelle Umschulung auf der Agenda… Doch was bedeutet es für mich wenn ich kein Physiotherapeut mehr wäre…?“